Montag, 6. Februar 2017

Neusprech

Bild: Flickr/Gage Skimore - CC BY-SA 2.0
Zu den vielen verstörenden Aspekten der neuen amerikanischen Regierung gehört deren Umgang mit der Wahrheit. Bereits während der ersten Tage im Amt haben Präsident Trump und seine Leute nicht nur offen die Unwahrheit gesagt, es gab auch den Versuch das ganze Konzept von Wahrheit und Unwahrheit so umzudeuten, dass es nicht mehr brauchbar ist. Konkret handelt es sich um die Umbenennung von erkennbaren Falschaussagen in "alternative Fakten" durch Trumps Beraterin Kellyanne Conway. Ein derartiger Missbrauch der Sprache macht eine ernsthafte Beschäftigung mit diesem Thema unmöglich. Die irgendwann auf Trump folgende nächste Regierung muss nicht nur Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherstellen, sie wird auch bestimmte Begriffe (z.B. das Wort "Fakten") zu ihrer ursprünglichen Bedeutung zurückführen müssen, damit das überhaupt möglich ist.

Genug von der Politik. Was mich an der Thematik des Umdeutens eigentlich klarer Begriffe sofort gefesselt hat war, dass sie auch in meinem beruflichen Umfeld regelmässig auftritt. Auch hier sind zentrale Aspekte mitunter nicht mehr diskutierbar, solange man nicht aufhört die sie beschreibenden Worte falsch zu verwenden. Ein Beispiel das mir in mehreren Unternehmen begegnet ist war die "Transparenz". Eigentlich verbirgt sich dahinter die freie Zugänglichkeit von Informationen über den aktuellen Sachstand (sei es der Stand der Umsetzungen oder der Stand der Planungen). Dort wurde jedoch etwas anderes darunter verstanden: Transparenz bedeutete, dass man im Detail sagen konnte in welchem Zustand sich ein Projekt zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft befinden würde (z.B. in einem Jahr).

Auch andere Umdeutungen durfte ich erleben: ein Klassiker sind die mitunter recht wilden Beschreibungen von Agilität: Agilität bedeutet, dass nicht geplant wird, Agilität bedeutet, dass nicht dokumentiert wird, Agilität bedeutet, dass nicht getestet wird, Agilität bedeutet, dass Change Requests kein Geld mehr kosten. Weitere Klassiker wären Qualität (umgedeutet zu Dokumentation), Planung (umgedeutet zum Zukunft vorhersagen) oder Produktivität (umgedeutet zum Produzieren möglichst vieler Lines of Code). Natürlich ist das alles Unsinn, aber gefährlicher Unsinn. Wenn das Management (oder auch nur Teile davon) ihn glauben sind Verbesserungsmassnahmen kaum noch möglich, denn Unterhaltungen laufen dann so: "Transparenz? Funktioniert mit Agil nicht.", "Agilität? Ist Mist, aufs Testen verzichten wir nicht.", "Qualität? Mehr als jetzt geht nicht, wir dokumentieren schon alles."

Wenn solche Unternehmen wirklich besser werden wollen führt kein Weg daran vorbei, in einem der ersten Schritte die Sprache zu bereinigen. Egal wie viel Tradition bestimmte Begriffsverwendungen haben - wenn man sie nicht loswird werden sie hartnäckige Hindernisse für jeden Fortschritt sein.

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